NPL #100 - Vom Südeingang Nordkapptunnel nach Skarsvåg

Ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen. Der Wind drückte gegen das Zelt und irgendwann schien es mir, als wäre die Abspannung nicht mehr in Ordnung. Es hatte einen Hering aus dem Boden gerissen. Ich versuchte ihn von innen wieder einigermaßen zu befestigen, es war ja noch mitten in der Nacht. Aber der Wind wurde immer stärker und riss am Zelt. Ich ging raus und versuchte die Abspannung in Ordnung zu bringen. Vier Heringe hatte es komplett rausgrissen. Einen davon fand ich nicht wieder, so dass nun doch noch meine Ersatzhering zum Einsatz kam, den ich bis hierher durch ganz Norwegen getragen hatte.

Klar war, dass das hier nicht mehr lang gut geht. Ich setzte mich im Zelt mit dem Rücken gegen die Windseite. Tee und Porridge kochen war viel zu gefährlich, da es die Zeltwände immer wieder nach unten drückte. Ich aß also meine letzten Scheiben Knäckebrot und packte den Rucksack. Bevor ich das Zelt verließ, befestigte ich Zelt und Zeltunterlage am Rucksack, damit beides nicht davon fliegt, wenn ich nicht mehr drin bin. Dann schnell alles zusammen packen und kurz nach 6 Uhr stand ich am Tunneleingang, bereit für die Länge von fast 7 km mehr als 200 m tief unter die Erde abzutauchen.

Jetzt verstand ich auch, was das Piepen war, was ich gestern für einen Handyton gehalten hatte. Es kam vom Tunneleingang und ich erinnerte mich gelesen zu haben, dass dieser Ton die Rentiere abhalten soll, in den Tunnel zu gehen. Außerdem ging ich durch eine Art Garagentor, welches im Winter geschlossen wird, damit der Tunnel zum Schutz der Bausubstanz frostfrei gehalten wird.

Ich steckte mir die Kopfhörer in die Ohren und hörte meine Wanderplaylist. Dazu sang ich lauthals mit, was sich in dem Tunnel sehr lustig anhörte. Ob der Tunnel Videoüberwachung mit Mikro hat? Seitlich der Fahrbahn gibt es einen schmalen erhöhten Sicherheitsstreifen, den man als Fußgänger nutzen kann und so ging es erst einmal fast 3,5 km bergab, um dann wieder nach oben zu kraxeln. Mit bis zu 10% Steigung war das ziemlich anstrengend auf die Länge. Zur Orientierung war aller 20 m der Standort auf der Tunnelwand vermerkt, was eine gute Motivation war, je länger der Anstieg wurde. Insgesamt kamen nur 8 Fahrzeuge durch den Tunnel, davon ein Bus und ein LKW. Wenn ein Auto kommt, hört man das schon von weitem und wenn es an einem vorbei fährt ist es so laut, als wenn man neben einem vorbeifahrenden Güterzug stehen würde. Gut, dass ich die Kopfhörer drin hatte. Freundlich war vom Bus- und vom LKW-Fahrer, dass diese Abstand gehalten haben, da man den Sog dieser Fahrzeuge ganz ordentlich spürte. Und dann sah ich das Licht am Ende des Tunnels und Wind und Regen hatten mich wieder. Von vorn kam ein Bus. Der Busfahrer winkte mir zu und ich streckte beide Hände in den Himmel und jubelte. Ich hatte Magerøya erreicht. 

Gleich nach dem Tunnel gibt es einen Rastplatz mit einem Windschutz, den ich erstmal nutzte, um mir meinen Frühstückstee zu kochen, der ja noch ausstand. Außerdem war es richtig kalt. Dann ging es über eine Brücke und entlang der Straße bis zu der Stelle, wo der E1 von der Straße abzweigt. Diese Stelle war sehr gut markiert und so stieg ich den Taleinschnitt hinauf. Auch hier hatten sich wieder Quadspuren in den nassen Boden gegraben. So richtig klar war mir in der Planung die Wegeführung hier nicht gewesen. Verschiedene Karten zeigten hier unterschiedliche Wegeverläufe und so kam es, wie es kommen musste - ich verlor mal wieder den Weg. Rundherum wurde der Nebel immer dichter und ich folgte der Quadspur, die geradeaus ging. Das bedeutete zwar einen Umweg, war aber nicht so falsch, weil sie mich entlang von Rentierzäunen in Richtung der Straße führte, die auch mein Ziel war. Dabei kam ich an der Einzäunung vorbei, wo die Sami im Herbst die Rentiere zur großen Rentierscheide zusammentreiben. Das muss ein ziemliches Spektakel sein. Heute lag der Ort jedoch verlassen im dichten Nebel.

Über die Insel ging es dann entlang der Straße bis nach Skarsvåg, dem nördlichsten Fischerdorf der Welt. Ich stellte meinen Rucksack vor der Rezeption ab, da diese noch geschlossen hatte und ging in den Ort runter, der sehr idyllisch am Fjord liegt. Und wenn es nicht so geregnet hätte, hätte man sich hier schön ans Meer setzen können oder sich das Kirkeporten anschauen, eine Felsformation nördlich des Ortes. So ging ich jedoch zum nördlichsten Campingplatz der Welt zurück und baute mein Zelt auf der einzigen pfützenfreien Stelle der Wiese auf. Das Bad hatte Fußbodenheizung, so dass die Socken vor der Schlussetappe morgen sogar noch mal trocken wurden. Zum Abendbrot gab es das letzte Couscous mit Trockenfleisch. Auf der einen Seite freute ich mich, dass ich morgen mein Ziel erreichen würde und noch mehr, wieder zu meiner Familie zurück zu fahren. Auf der anderen Seite war da auch viel Wehmut, dass damit mein großes Abenteuer zu Ende sein würde.



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